EKE/PAS - Die verschiedenen Konflikt- Stufen - Wie können entfremdete Eltern intervenieren?

Meine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Müttern und Vätern hat es mir immer wieder deutlich gezeigt: je mehr über Eltern-Kind-Entfremdung und die unterschiedlichen psychologische Dynamiken bekannt ist, die Auslöser und Ursachen verstanden und erkannt werden, desto besser sind die Chancen, die Dynamik zu unterbrechen und in eine neue Beziehung zu sich selber, dem entfremdeten Kind und im besten Fall auch mit dem anderen Elternteil zu finden.

Carolyn Steen - Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention

Um komplexe Vorgänge erklär- und damit auch leichter verstehbar zu machen, bedient man sich gerne Modelle. Diese sind natürlich immer nur Abbilder einer dynamischen und oft kaum durchschaubaren Realität, können aber nicht nur Verständnis für das eigene Erleben erzeugen, sondern unterstützen dadurch auch bei der Lösungssuche.

„Das Ziel eines Konflikts oder einer Auseinandersetzung soll nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein.“

Ein Model, dass ich gerne vorstellen möchte, wurde von Friedrich Glasl zur Konflikt- Eskalation erstellt und beschreibt, wie sich Konflikte progressiv verstärken.

Level 1: Win-Win oder auch Zwei-Gewinner – die ersten drei Stufen der Konflikt-Eskalation Stufe 1: Spannungsphase

Konflikte entstehen durch Spannung zwischen Menschen, oft geht dies auf unterschiedliche Meinungen oder unerfüllte Bedürfnisse zurück und können durch unbewusste Affekte oder Glaubenssätze ausgelöst werden. Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass zwischenmenschliche Spannungen nicht zwangsläufig zu Konflikten führen, sondern sie können auch – positiv genutzt – zu Wachstum und mehr Nähe führen. Allerdings gehen alle Konflikte auf zwischenmenschliche Spannungen zurück und es ist wichtig zu prüfen, was die unbewussten oder bewussten Gründe gewesen sein könnten.

Stufe 2: Auseinandersetzung/Streit

Aus der Phase der zwischenmenschlichen Spannung entsteht eine Auseinandersetzung oder auch ein Streit. Die Beteiligten versuchen, ihre Argumente und Sichtweise zu verteidigen und die Gegenseite zu überzeugen. Strategien werden durchdacht und Allianzen geknüpft. Meinungsverschiedenheiten werden nicht als Bereicherung, sondern als Bruch interpretiert. Ein Schwarz-Weiß-Denken entsteht und man sieht erste Tendenzen zu der Überzeugung: “Bist du nicht für mich und mit mir, bist du gegen mich.”

Stufe 3: Aktionen treten an die Stelle von Diskussion

Die gegnerischen Parteien erhöhen den Druck auf einander, um die eigene Ansicht, den eigenen Willen durchzusetzen. Gespräche finden nicht mehr statt und der Konflikt nimmt immer aggressivere Formen an. Sympathie und Wohlwollen sind kaum noch vorhanden.

Level 2: Win-Lose oder auch Ein-Gewinner-Ein-Verlierer – Stufe 4 bis 6 der Konflikt- Eskalation

Stufe 4 – Koalitionen und Allianzen werden gesucht

Der Konflikt weitet sich aus und verschlimmert sich bei der Suche nach Verbündeten, da man glaubt auf Grund der Unterstützung “Recht” zu haben und auf einem moralisch höheren Standpunkt zu stehen, als die Gegenseite. Der Grund für die Auseinandersetzung steht nicht mehr im Vordergrund und wird sogar unbedeutend neben dem neuen Anliegen, den Kampf gegen den Konflikt-Gegner zu gewinnen, so dass dieser verliert.

Stufe 5 – Gesichtsverlust

Der Gegner wird durch Andeutungen und schlechte Nachrede verunglimpft, es wird kein gutes Haar mehr am anderen gelassen. Es kommt zu einem kompletten Vertrauensverlust. In dieser Phase wird Gesichtsverlust als Verlust moralischer, sozialer und emotionaler Integrität verstanden.

Stufe 6 – Bedrohungsstrategie

Die Konflikt-Parteien bedrohen sich mit Vergeltung, Gericht, sozialem und finanziellem Verlust… manchmal sogar mit materieller oder körperlicher Gewalt. Es kommt zu Aussagen von: “Wenn du nicht… dann…” Und oft werden Verbündete als Drohmittel eingesetzt.

Level 3: Lose-Lose oder auch Zwei-Verlierer – Stufe 7 bis 9 der Konflikt-Eskalation Stufe 7: begrenzte Zerstörung

Dem Konflikt-Gegner soll mit allen verfügbaren Mitteln signifikanter Schaden zugefügt werden. Der Gegner wird nicht mehr als menschliches Wesen erkannt, sondern nur noch als de-personifizierter Feind. Es wird begrenzter persönlicher Verlust in Kauf genommen, um dem Gegner zu schaden, falls der zugefügte Schaden größer ist.

Stufe 8: totale Zerstörung

Der Konfliktgegner soll mit allen Mitteln zerstört werden

Stufe 9: gemeinsam in den Abgrund

Ab dieser Stufe ist die eigene Zerstörung und die Vernichtung unbeteiligter Dritter eingeplant, wenn der Gegner damit besiegt und ebenfalls zerstört wird.

Mögliche Interventionen:

Es ist insbesondere für alle an hoch-konflikthaften Scheidungen beteiligten Eltern sowie für Eltern, die von Eltern-Kind-Entfremdung betroffen sind, wichtig zu erkennen, dass dieses Model vor allem dann interessant ist, wenn man erkannt, auf welcher Stufe sich die Konflikt-Eskalation befindet, um die genau passende Intervention einleiten zu können, da auf jeder Eskalations-Stufe ein einlenken und eine De-Eskalation möglich ist:

Stufe 1 bis 3: Mediation

Während der ersten drei Eskalationsstufen kann der Konflikt durch gut begleitete Mediation beigelegt und die Eskalation unterbrochen werden. Ich empfehle Co-Mediaiton bei der jeder Konflikt-Partner einen Mediator zur Seite gestellt bekommt und die Gespräche dann zu viert geführt werden.

Stufe 3 bis 5: Beratung und Prozessbegleitung

Während der Eskalationsstufen in denen es bereits um die harte Konfrontation und einen Wunsch nach Sieg über den Gegner geht ist es möglich die Eskalation durch Psycho- Education und Beratung sowie Prozessbegleitung und Coaching zu unterbrechen. Wird Verständnis für das eigene Vorgehen und auch das Vorgehen des Kontrahenten erzeugt, sind viele Konfliktgegner in der Lage, die Vorteile einer Konfliktbeilegung zu erkennen.

Stufe 4 bis 6: Sozio-Therapeutische Beratung und Begleitung

Wenn die eigenen inneren Treiber, Bedürfnisse und Verletzungen erkannt und durch fach- kompetente Begleitung aufgearbeitet werden kann hier positiv Einfluss auf die Eskalation genommen werden und der Konflikt oft noch beigelegt werden.

Stufe 5 bis 7: Eingreifen und Vermittlung

Das Eingreifen und die Vermittlung durch als fachlich kompetente Autoritätsfiguren kann in dieser Stufe die Eskalation unterbrechen und zu einer Konfliktbeilegung führen.

Stufe 6 bis 8: Vergleich und Gerichtsbeschlüsse

Ein Vergleich oder Gerichtsurteil kann dazu dienen, den Konflikt nicht weiter Eskalieren zu lassen.

Stufe 7 bis 9: gewaltvolle Intervention durch den Staat

Leider ist es in einigen wenigen Fällen nicht vermeidbar, um zu verhindern, dass dein Kind Kollateralschaden des Konfliktes wird, von außen durch den Staat Einfluss auf die Situation zu nehmen und im Schlimmsten Fall das Kind aus eurer Familie zu entfernen und in einer liebevollen und gewaltfreien Umgebung unterzubringen.

Fazit:

Egal auf welcher Stufe der Konflikt-Eskalation du dich vermutest, es gibt also immer Interventionsmassnahmen, die ergriffen werden können und sollten. Wichtig ist dabei immer nur: dass du erkennst, dass du dich an der Entstehung und der Eskalation des Konfliktes bewusst oder unbewusst beteiligst und aus der Dynamik aussteigst. Ich verstehe sehr gut, dass dies unfair und verständnislos klingen kann, vor allem wenn man als entfremdeter Elternteil Ziel einer brutalen Verleugnungskampagne geworden ist. Um allerdings einen positiven Wechsel zu ermöglichen ist es absolut notwendig, dass du dich nicht als Opfer sondern als handlungsfähiger und beteiligter Akteur des Konfliktes verstehen lernst und aus der Eskalation aussteigst. Ich verstehe auch, dass dies leichter gesagt, als getan ist und ich möchte dir dringend empfehlen von allen externen Interventionsmöglichkeiten möglichst viele für dich und alle Beteiligten zu nutzen.

Schreib mir doch in die Kommentare, was deine größte Herausforderung mit deinem Teenager oder Kind war oder ist.

Carolyn Steen – Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention, Trennungs- und Scheidungsberatung – Im Mittelpunkt des Lebens