Eltern-Kind-Entfremdung? Du hast noch Kontakt und fragst dich: “Wie spreche ich mit meinem Kind?”

Mit Kindern und Jugendlichen zu sprechen und dabei das Gefühl zu haben, dass sie zugehört und verstanden haben, kann selbst in bestehenden Kernfamilien für viele Eltern eine Herausforderung sein. Oft hat man als Elternteil das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu sprechen, in dem alles einfach verschluckt wird und ins Unendliche versickert.

Carolyn Steen
Carolyn Steen - Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention

Eines der dabei bestehenden Kern-Probleme ist, dass viele Eltern davon ausgehen, dass Erziehung in erster Linie auch darin besteht, Wissen, Werte, Können und Kennen an die eigenen Kinder weiterzugeben. Dies tun die meisten Eltern mit der Intention es ihren Kindern zu ermöglichen, Fehler, die ihre Eltern gemacht haben, nicht zu “wiederholen”, damit es ihnen “besser” geht, oder auch, um sie vor Schaden zu schützen….

„Und wenn das, was du tust dich nicht weiterbringt, dann tu etwas völlig anderes – statt mehr von gleichen falschen!“ Paul Watzlawick

Mit diesem Auftrag im Kopf als festgewurzeltem Glaubenssatz glauben viele Eltern, sie seien “schlechte Eltern”, wenn sie ihrem vermeintlichen Erziehungsauftrag nicht nachkommen.

Oder sie haben Wünsche, Bedürfnisse, Regeln, die sie zwar aussprechen, die aber niemals anzukommen scheinen. Dann werden viele Eltern immer frustrierter in ihrem Bemühen, Regeln zu implementieren und Grenzen zu setzen.

Wenn sie dann ihren Teenager sehen oder auch ihr Kind und sich einem geradezu trüben oder abwesenden Blick gegenüber sehen, dann ist die Verlockung groß, das Kind “wach zu brüllen”.

Oft verfallen Eltern dann in das, was der Psychologe Paul Watzlawick als das Prinzip des Mehr-des-Gleichen bezeichnet hat und werden in ihren Bemühungen, das Kind oder den Jugendlichen zu erreichen, lauter, reden mehr, insistieren, erregen sich oder werden gar aggressiv. Mit dem einzigen Erfolg, dass das sie sich selber quasi in Rage reden und den Fokus komplett verlieren. Oft geschieht es dann, dass “alles” schlecht ist, was das Kind getan hat…

Das ist für weder für die gesunde Entwicklung des Kindes, noch für die Beziehung zwischen Elternteil und Kind gut und die Botschaft kommt in den aller seltensten Fällen dort an, wo sie ankommen soll: bei dem Kind.

Stattdessen kommt bei den aller meisten Kindern und Jugendlichen bei dieser Form der “Beschallung” ganz genau nur das an: “Beschallung”.

Viele Kinder und Jugendliche hören dann in der Tat nicht mehr die einzelnen Worte und erst Recht nicht den Inhalt, sie hören nur noch ein Rauschen oder Gekreische ohne den Inhalt aufnehmen zu können. Zurück bleibt nur ein Gefühl von “ich bin oder mache alles falsch”, oder “meine Mutter/Vater mag mich nicht”.

Das ist gerade auch dann fatal, wenn du als Elternteil einem Kind gegenüberstehst, dass von dem anderen Elternteil von dir entfremdet wird, da das Ergebnis ein weiterer Rückzug sein wird.

Was ist also notwendig, um mit deinem Kind so zu sprechen, dass dein Kind dir nicht nur zuhört, sondern dich auch versteht?

Hier gibt es eine Grundregeln, die du beachten lernen solltest:

Halte die 75 – 25% Regel ein: Dein Redeanteil sollte gerade in schwierigen Beziehungen nicht mehr als 25% betragen. Und von diesen 25% sollte gut die Hälfte in der Tat nur neugieriges und offenes Rückfragen sein…

Das klingt erstmal vermutlich nicht einleuchtend, wenn doch die Frage war “Wie spreche ich, so dass ich gehört werde?” Jetzt soll man also als besorgter Elternteil auch noch schweigen?

Ja. Und zwar aus verschiedenen Gründen, die sich aus dem aktiven Zuhören ergeben. Wenn ich merke, dass ich nicht die Aufmerksamkeit meines Gegenübers habe kann ich ziemlich sicher davon ausgehen, dass der aller größte Anteil dessen, was ich sage nicht aufgenommen oder falsch verstanden wird.

Darum ist es notwendig, nicht nur die Aufmerksamkeit zu bekommen und zu halten, sondern vor allem genau dort anzusetzen, wo es ein echtes Problem gibt und nicht, einen “General-Schlag” durchführen.

Hier helfen Fragen. Je offener und neugieriger ich mein Kind frage, desto eher kann ich es genau dort abholen, wo es gerade “ist”.

Als Beispiel dient das Bild der sexuellen Aufklärung eines Kindes. Diese beginnt bei der Benennung der Körperteile und endet in Gesprächen zwischen Erwachsenen über Sexualität. Wenn ich von meinem 6 jährigen Kind gefragt werde, wie denn nun die Babies in den Bauch kommen, möchte ich weder mit einem biologischen oder medizinischen Fachvortrag, noch mit einer verblümten Beschreibung von Gartenschläuchen und Pflanzen antworten. Stattdessen ist es absolut sinnvoll, das Kind erstmal zu fragen, was es denn bisher so gehört hat, was es sich denn so denkt, wie es dazu steht, welche Gedanken und Gefühle es dazu hat. Erst wenn ich weiß, was “vorhanden” ist, kann ich adäquat auf den jeweiligen Entwicklungsstand meines Kindes eingehen und eventuelle Fehlglauben aufklären, ohne mein Kind weder zu über- noch zu unterfordern.

Dies gilt für alle Lebensbereiche und Belange. Je besser ich mein Kind kennenlerne und erfahre, was es denkt, fühlt und glaubt, desto eher kann ich sowohl meine eigenen Ängste beruhigen, als auch genau die Information bei meinem Kind unterbringen, die vielleicht gerade notwendig ist, ohne sie durch eine Flut anderer Informationen zu “verwässern”.

Kinder und Jugendliche (sowie auch die allermeisten Erwachsenen insgeheim) lieben es, wenn man sie nach ihrer Meinung und ihren Erfahrungen, nach ihren Gefühlen und und Gedanken fragt.

Meiner Erfahrung nach ist es darüber hinaus um einiges wert- und wirkungsvoller, wenn ich meinen Kindern von meinen eigenen positiven und negativen Erfahrungen offen, transparent und ehrlich erzähle (im Sinne eines Sharing), als ihnen Moral-Predigten zu halten.

Dadurch “erziehe” ich durch “Vorbild”. Dabei verstehe ich Vorbild im Sinne des: ich zeige dir ein Bild, damit du dir selber eine Meinung “bilden” kannst – nicht im Sinne es: ich stelle mich auf einen sehr wackeligen Sockel, der in der Regel der Überprüfung nicht stand hält.

Und bei Eltern-Kind-Entfremdung gelten darüber hinaus die folgenden Regeln, an die du dich dringend halten solltest:

• Du solltest keinerlei Druck auf dein Kind ausüben, die Umgangsverweigerung oder ggf. den Kontaktabbruch zu erklären.

• Alle Darstellungen deiner eigenen “Sichtweise” auf den Elternkonflikt sollten komplett unterlassen werden.

• Dein Kind sollte auf keinen Fall unter Druck gesetzt werden “Ich liebe dich” oder “Ich habe dich lieb” sagen zu sollen.

• Dein Kind wird nicht über den anderen Elternteil befragt.

• Der andere Elternteil und die andere Familie sollte auf keinen Fall kritisiert werden. Alles “schlecht Reden” muss strickt unterbleiben.

• Deine emotionale Selbstkontrolle ist Voraussetzung für einen weiteren wachsenden und positiven Umgang. Solltest du dich in schwierigen Situationen von Gefühlen überwältigt fühlen, solltest du dich entschuldigen und solange zurück ziehen, bis deine Selbstkontrolle wieder hergestellt ist.

Schreib mir doch in die Kommentare, was deine größte Herausforderung mit deinem Teenager oder Kind war oder ist.

Carolyn Steen – Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention, Trennungs- und Scheidungsberatung – Im Mittelpunkt des Lebens